Qigong bei Depression

Qigong bei depressiven chronisch kranken älteren Menschen

Mag. Franz Wendtner
Lehrer der Österreichischen Qigong-Gesellschaft

Altern

Wir werden immer älter. Betrug der Anteil der über 65-jährigen 2013 18,2 % der österreichischen Be­völkerung, rechnet man 2035 bereits mit 25,7% an Mitbürgern über 65 Jahren. Dabei wächst die Gruppe der sehr Alten am Stärksten – für 2035 gehen die Hoch­rechnungen von 500.000 bis 600.000 Hochbetagten über 85 Lebensjahren aus (Statistik Austria, 2014).


Chronische Krankheiten

Mit steigendem Alter nehmen auch die altersassoziierten chronischen Krankheiten wie u. a. Arthrose, Herzleiden, Krebs und Demenz dramatisch zu. Insgesamt sind Frauen stärker betroffen als Männer. Von mindestens einer chronischen Erkrankung  sind bei einem Alter von 60 bis unter 75 Jahren 84,3% der österreichischen Bevölkerung betroffen, bei den Mitbürgern mit einem Alter von 75 und mehr Jahren 91,5%. Die Zahlen wurden in der österreichischen Gesundheitsbefragung erhoben und gelten für den Zeitraum von 2006 – 2007 (Statistik Austria, 2009).


Depression

Das Risiko für Depressionen ist bei chronischen Erkrankungen besonders hoch und im höheren Alter sind – statistisch gesehen – Depressionen die häufigste psychische Krankheit. Vielfach sind sie Begleiterscheinungen von chronischen Erkrankungen oder Reaktionen auf Verluste, wie den Tod des Partners, die nachlassende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit, Vereinsamung, die Zunahme körperlicher Beschwerden oder Schmerzen. Die Selbstmordgefahr nimmt zu. Depressionen sind gekennzeichnet durch gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Verminderung von Antrieb und Energie, Schlaflosigkeit und Grübeln. Es kommt bereits bei kleinen Anstrengungen zu deutlicher Müdigkeit. Depressive Menschen können Nische oder nur mangelhaft auf eine freundlich Umgebung reagieren scheinen wie gelähmt. Die Selbstwirksamkeitserwartung (als Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet man die generalisierte Erwartungshaltung Probleme/Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können) ist deutlich reduziert.


Untersuchung

Die sehr aufwändige Untersuchung von Tsang und Kollegen (2013) wurde in Hong Kong durchgeführt und 2013 publiziert.
In dieser randomisierten (die Teilnehmer wurden den jeweiligen Untersuchungsgruppen zufällig zugeteilt) und kontrollierten Studie wurden die psychologischen und europhysiologischen Effekte von Qigong bei depressiven älteren Frauen und Männern untersucht. Konkret kam die „8 Brokate“ Übungsfolge (Baduan Jin) zur Anwendung.
Die Teilnehmer der Experimentalgruppe mit 21 Teilnehmern im Alter von 73 – 89 Jahren (16 Frauen, 5 Männer) durchliefen ein 12 Wochen dauerndes Übungsprogramm, die Vergleichsgruppe mit 17 Teilnehmern (10 Frauen, 7 Männer) im Alter von 73 – 89 Jahren las in der gleichen Dauer und Frequenz Zeitung. Erhoben wurden die depressiven Symptome, das psychosoziale Funktionieren, Muskelkraft, der Cortisolgehalt im Speichel und das Serotonin im Serum. Nach 12 Wochen wiesen die Teilnehmer der Qigonggruppe eine signifikante Reduktion der depressiven Symptome (p<0.025) auf. Es kam auch zu Verbesserungen in der Selbstwirksamkeitserwartung (p<0.050), im Selbstkonzept des persönlichen körperlichen Wohlbefindens (p<0.025) und in der Greifkraft der rechten Hand (p=0.034). Diese Ergebnisse waren nicht nur ein Vorher/Nachher-Messresultat, sondern zeigten sich auch im Vergleich zur Kontrollgruppe. Die Qigong-Übenden hatten damit klar von ihrem Üben profitiert. Eine Veränderung im Cortisolspiegel war knapp nicht signifikant (p=0.087), aber der Trend zur Abnahme diese Stresshormons im Speichel war offensichtlich. Die antidepressive Wirkung von Qigong zeigte sich überzeugend in der Verbesserung des psychosozialen Funktionierens (soziale Kompetenz und Wohlbefinden, Reduktion der depressiven Symptome) der Teilnehmer der Qigonggruppe. Darüber hinaus zeigte sich auch ein klarer Trend zur Reduktion der Überaktivierung des Stress-Achse (Hypothalamus – Hypophysen – Nebennierenrinde) durch die Abnahme des Cortisols im Serum.


Methodik

Die in die Studie inkludierten Teilnehmer litten an zumindest einer chronischen Erkrankung wie u. a. Schmerzen, Bluthochdruck, Arthritis, Krebs oder Parkinson und wiesen eine „major depression dosierter“ auf, diagnostiziert nach den Kriterien des DSM IV (ein die psychischen Erkrankungen und Störungen sehr differenziert erfassendes Diagnosesystem – ähnlich dem in Europa gebräuchlicheren ICD 10). Insgesamt kam eine ganze Reihe verschiedener Diagnoseinstrumente – auf welche an dieser Stelle nicht näher eingegangen wird – zur Erhebung der zu untersuchenden Kriterien zum Einsatz.
In dem 12 Wochen dauernden Programm hatten die Untersuchungsteilnehmer 36 Termine an drei Tagen pro Woche von jeweils 45 Minuten Dauer. Qigong wurde durch einen qualifizierten Lehrer vermittelt, die Lesegruppe wurde von einem Forschungsassistenten geführt. Es wurde Zeitung gelesen und anschließend wurden diverse Inhalte diskutiert.
Die Teilnahme an der Untersuchung war freiwillig, das individuelle Einverständnis wurde per Unterschrift bestätigt (informed consent). Die Studie wurde von dem entsprechenden Ethikkommissionen genehmigt. Die statistische Auswertung wurde mit hohem Aufwand durchgeführt und erbrachte die oben dargestellten Ergebnisse. Wesentlich differenzierte und detailliertere Resultate – auf die in diesem Artikel nicht eingegangen wird – finden sich im Originalartikel (siehe weiter unten).


Limitierungen

Die Autoren führen als Beschränkungen der Gereralisierbarkeit (= Übertragbarkeit der Ergebnisse) der Studie an, dass hier eine Qigong übende Gruppe mit einer Lesegruppe verglichen wurde und nicht mit einer Gruppe, die z. B. Yoga oder ähnliches machte. Außerdem lassen sich die Effekte der pharmakologischen Medikation bei diesem Untersuchungsdesign nicht zuverlässig gewichten. Und die Ursache-Wirkungszusammenhänge bezüglich der Verbesserungen der Selbstwirksamkeitserwartung und der depressiven Symptome, sowie die Beziehung zwischen der Reduktion des Cortisols im Speichel und den depressiven Symptomen lassen sich nach Ansicht der Autoren noch nicht hinreichend erklären.#


Conclusio

Dies Studie ergab unter anderem, dass das Übern von Qigong depressive Symptome und die Selbstwirksamkeitserwartung bei alten Menschen mit chronischen Erkrankungen verbessern kann. Durch dies Untersuchung wurden auch Ergebnisse früherer RCT’s (= randomised controlled studies) bestätigt.


Schlusswort

Allen Interessierten – wir alle werden älter, haben vielleicht jemand in unserer Verwandtschaft oder Bekannte, die mit ihrem Alter nicht so gut zurechtkommen – sei die Lektüre der Studie ans Herz gelegt. Es zeigt sich ganz klar, dass auch sehr alte Menschen Qigong üben und ihre Lebensqualität deutlich verbessern können. Man findet hier eine Reihe von Argumenten, die vielleicht helfen können, auch skeptische Omas und Opas zu überzeugen, doch mal einen Versuch zu wagen.

Vom 23. Juni 2015